Ursula Sinnreich: Von Hand zu Hand
Die Fotografie ist ein Mittel des Austausches. Während das Medium im privaten Gebrauchskontext eine eigene Art visueller Gedächtniskultur etabliert hat, steht es in der künstlerischen Praxis für den Anspruch, neue Perspektiven auf die Wirklichkeit entwerfen zu können. Die Intimität der privaten Beobachtung und die Konstruktion eines weltoffenen Blickes markieren die Pole des Spannungsfeldes, innerhalb dessen sich die Fotografie bis heute situiert.
Das hier vorliegende Projekt von zwölf Künstlerinnen und Künstlern unternimmt den Versuch, dieses Spannungsfeld neu auszuloten. Der Titel, den sie sich für ihr Experiment gewählt haben – Grandprix – macht deutlich, dass sie ihr Unternehmen als eine Art Wettstreit verstehen. Dieser Wettstreit aber kreist nicht darum, eine von vielen künstlerischen Positionen als herausragend auszuzeichnen, sondern der Vielfalt fotografischer Artikulation zum Sieg zu verhelfen.
In den Blick gerät diese Vielfalt jedoch nicht allein durch die gestalterische Fülle und Differenz der präsentierten Arbeiten, sondern auch und vor allem durch das Widerspiel, dass sich zwischen der künstlerischen Position und dem ihr gesetzten Rahmen entfaltet. Alle Beteiligten haben sich dem kleinen Format populärer Fotocouverts verpflichtet, die in den Tagen der Schwarzweiss-Fotografie an Kiosken feilgeboten wurden. Von kleinen Taschen aus farbigem Papier geschützt, zeigten sie Motive berühmter Städte oder Sehenswürdigkeiten. Es waren Fotos, die von Hand zu Hand gingen, für die einen als Stütze der Erinnerung, für die anderen als Objekte der Sehnsucht.
Zwölf künstlerische Arbeiten, zwölf Perspektiven, zwölf Themenkreise, zusammengefasst in kleinen Kartonhüllen. Das Spektrum der zusammengetragenen Werke reicht von mentalen Landschaften bis zur künstlerischen Selbstbefragung, von poetischen Weltentwürfen bis zu geographischen Ortsterminen. Jedes für sich eine kleine geschlossene Bildwelt und doch auch mit der Perspektive nach Aussen entworfen.
Zum Aufmachen verführen, zum Anschauen gemacht. Ein Anschauen, das zur Berührung des Materials verpflichtet und das zum Weitergeben anregt – von Hand zu Hand. Doch die Intimität des Formats steht hier nicht für die Privatheit des Blicks, sondern verbindet sich mit dem künstlerischen Anspruch, Konzepte zu wagen - Perspektiven zu analysieren, recherchieren, imaginieren.
Auch die Hüllen, in denen sich die zwölf Fotografien der zwölf Künstlerinnen und Künstler verbergen, sind von ihnen gestaltet. So wird die einzelne künstlerische Position buchstäblich greifbar. Und erschöpft sich dennoch nicht in ihrem Für-Sich-Sein. Denn jede Hülle verlangt nach Öffnung, um das in die Welt zu stellen, was in ihr sich verbirgt. 144 Fotografien. Genug für eine Ausstellung oder den Versuch, den Blick nach Aussen wie nach Innen zu wenden.
siehe auch: Projekte / Grand_Prix. 2004