Susanne BickelCécile Hummel – Ägypten
Zeichnerisch überwindet Cécile Hummel, die 2012–2013 für einige Monate in Kairo lebte, die Andersartigkeit des Lebensalltags und die kulturelle Distanz. Sie macht sich Fremdes oder Erstaunliches zu Eigen, fängt das markant Andere mit Pinsel, Bleistift oder Kugelschreiber ein und führt es über in ihre eigene Erfahrungs- und Ausdruckswelt. Ihre Bilder lassen den Betrachter Eindrücke und Gedanken ahnen und Komplexität und Kontraste dieser faszinierenden, unendlich grossen, lauten und staubigen Stadt verspüren.
Das kompliziert verschachtelte und instabile Gebilde aus Grautönen könnte die Vielschichtigkeit, oft Prekarität, des kairener Häuserbaus evozieren. Menschen sind nicht zu sehen: wir können sie dazu denken, so schattenreich schwankend nach oben strebend wie die einzelnen Formen der Bildkomposition.
Grossräumiger und wohl reicher erscheint ein Gebäude mit Muscharabiya, der dichten Holzschnitzerei vor traditionellen arabischen Häusern, die den ungesehenen Blick auf die Strasse ermöglicht. Wie befreiend wirkt das offene Dachfenster, durch das die Gedanken weit ausschweifen dürfen. Bei jedem Gang durch Kairos Strassen trifft man unweigerlich auf die in gestreiften Pijama-Stoff gehüllten Autos. Dem tosenden Verkehr trotzend warten sie still vermummt, ihren sozialen Wert gleichzeitig widerspiegelnd und verhüllend, auf die nächste Ausfahrt.Komplexität und Mehrdeutigkeit können selbst einfache alltägliche Objekte kennzeichnen, die wir gedankenlos nutzen. Treten wir zurück um sie zu betrachten, so eröffnen sie Perspektiven und Gedankenräume, die wir ungenutzt liessen. So die Tische in einem leeren Kaffeehaus: Die Vorhänge scheinen hinunter gezogen, Stimmen und Gerüche verschwunden, die Formen des Ortes sprechen für sich allein. Über dem Spieltisch mit seinen eingefärbten Dreiecken hallt noch das grelle Krick-Krack der aneinander stossenden Spielsteine; aber das Spiel ist vorbei und ein unbehagliches Gefühl von unentflechtbarer Vielschichtigkeit erfasst den Betrachter.
Die dicht beisammen lebenden Menschen, die während des Kairo-Aufenthaltes von Cécile Hummel, von ihrem gegensätzlich ausformulierten und doch gemeinsamen Streben nach Freiheit und gesichertem Dasein getrieben, oft gewaltsam gegen einander stiessen, fehlen in ihren Zeichnungen. Das Wogen und Toben der Stadt wird durch Stille ausgedrückt; die Gedanken aber tragen pochendes Leben hinter die schattenhaften Fassaden, zu den schlafenden Autos und an die leeren Tische.
Menschen stehen hingegen im Zentrum der Bilder mit denen Cécile Hummel die Distanz zur altägyptischen Vergangenheit zu überbrücken sucht.
Menschen, die ihr Abbild in Stein oder Sykomore hauen liessen und nun als stumme Statuen im Kairener Museum stehen, werden in ihrer Lebendigkeit durch den Blick der Künstlerin in unsere Welt versetzt.
Einzig der fast fünftausend Jahre alte König Djoser scheint mit den Abgründen der zeitlichen Tiefe nicht wirklich zurechtzukommen. Wir sehen ihn von hinten mit schwerer Perücke auf seinem Kalksteinthron sitzend, auf ein Podest in einen Glaskasten gestellt, und erahnen seinen leeren Blick auf die Halogenlampen, den Bürostuhl und den Computer, der für uns schnelllebige Heutige auch schon als älteres Modell zu erkennen ist. Was ist wirklich alt: König Djoser oder der bald überholte Computer?
Emotionslos wirkt der Priester und Gelehrte Kaaper, der mit seinem ausdrucksvollen Gesicht, kahlköpfig und mit breiten Schultern auf uns blickt als schritte er aus einer dunklen Vergangenheit heraus auf uns zu. Eine Holzstatue hat die Jahrtausende überdauert und vermittelt den Eindruck eines lebenden, uns ähnlichen Mannes, auch wenn ihn – wie es die scharfe Farbkante neben ihm andeuten könnte – Zeit, Sprache und Weltanschauung von uns trennen.
Eine harmonische, mit feinem Bleistiftstrich ausgeführte Komposition zeigt uns Dienerstatuetten, die vor viereinhalb Jahrtausenden hergestellt wurden, um ihre reichen Hausherren auch im Jenseits zu umgeben und mit Nahrung zu versorgen. Die steinernen Bildnisse tragen den Gedanken – den festen Glauben – an eine wohlversorgte und endlose Fortexistenz. Selbst wenn die beiden Müllerinnen, die kräftige Bierbrauerin, die Mehl siebende Dienerin und der uns entgegen blickende Krugversiegler Tätigkeiten ausüben, die uns heute weitgehend fremd sind, wirken sie doch zeitlos nahe, in alle Richtungen hin ewig beschäftigt und dennoch in sich ruhend.
Echnaton und Nofretete, ein ephemeres aber einflussreiches Königspaar aus der Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends, sind heute Embleme der altägyptischen Kultur, obwohl sie in ihrer Zeit gerade für den einschneidendsten je erlebten kulturellen Bruch standen und nach ihrem Tod radikal aus jeglicher Erinnerung vertrieben wurden. Zahlreiche Bildnisse wurden in einer Künstlerwerkstatt gefunden: antike Bildhauerstudien, die heute der Künstlerin erneut Modell stehen. Zusammenhanglos fragmentiert, des Blickes beraubt und in Zeit und Raum verloren wirkt Echnaton allein. Unendlich tief greifen hingegen die Blicke in der Gegenüberstellung der Skulpturen aus dunklem Sandstein der Königin und aus hellem Kalkstein des Königs: Blicke, die sprechen und Gedanken austauschen, über Jahrtausende wach und in allen Kulturen vielsagend.
Mit ihren Zeichnungen fing Cécile Hummel Eindrücke aus dem heutigen und dem vergangenen Ägypten ein und liefert sie uns zur ästhetischen Freude indem jedes Bild kraftvoll zu uns spricht und dennoch weiten Raum für Gedanken offen lässt.
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