Markus StegmannSchwertfischfang
Die Stunde der Fische ist es nicht. Geköpft, zerteilt und aufgetischt. Zum Verkauf geboten. Das stolze Schwert wie ein alter, lästiger Besen in die Senkrechte gebunden, damit es niemanden stört, niemand hängen bleibt und sich verletzt. Es ist die Stunde des stillen Triumphs der Fischer und Verkäufer über das gefangene Tier.
Noch schauen gläsern und linsenhaft die übergrossen Augen, als verspürten sie einen Rest Lebens in sich, als könnten sie vielleicht noch allerletzte Lebensgeister wecken. Wir werden leise Zweifel nicht ganz los. Beobachten sie uns nicht insgeheim? Doch das Augenglas ist milchig gebrochen, seltsam diffus, eingesunken, ohne je wieder fokussieren zu können und strahlt dennoch eine magische Anziehungskraft aus. Niemand kann diesen blau schimmernden, lidlosen Augen widerstehen. Die kalte Jagd nach Makrelen entströmt den Pupillen, Schrecken kleiner Fische, die den Schwertfischen zum Opfer fielen, in eisiger Tiefsee genauso wie in flachen Gewässern. Mehr als 100 Stundenkilometer erreichen sie mühelos, zählen zu den Schnellsten der Weltmeere. Welche Beute könnte da entkommen?
Und nun diese Bilder: leblos ausgebreitet auf Verkaufstischen, handschriftliche Preisschilder im Maul, in Stücke geschnitten. Das muskulöse Fleisch feuert den Torpedo nicht mehr durchs Wasser, bildet stattdessen symmetrische Muster im Querschnitt. Erstaunlich gering ist der Durchmesser des Rumpfes, schmächtig fast, unscheinbar. In zartem Rosa schimmern Ornamente aus Muskelfleisch und Knochen, wohingegen die Aussenhaut in geradezu militärischem Grau bestmögliche Tarnung sucht.
Was ist das, ein Raubfisch? Und geht das überhaupt, ein Tier zu betrachten ohne menschliche Kategorie, ohne reflexartige Einteilung in Gut und Böse? In Hemingways Novelle Der alte Mann und das Meer (1952) fing Santiago einen riesenhaften Marlin, einen Artverwandten des Schwertfischs. Nach drei Tagen hilflosen Driftens auf hoher See bändigte er ihn unter grössten physischen und psychischen Schmerzen, was ihm erst gelang, als er sich innerlich mit dem Tier "verbrüderte", einem steinzeitlichen Jagdzauber nicht ganz unähnlich. Doch der Sieg über das monströse Tier sollte kein solcher sein: Angelockt vom ausströmenden Blut erschienen Haie und frassen das Marlinfleisch bis aufs Skelett. Was ist das, ein Raubfisch? Und wie verhält sich unser menschlicher Massstab von Gut und Böse im Verhältnis zum Tier und seiner Wirklichkeit der Instinkte?
Die Fotografien der Schwertfische entstanden 2010 in Palermo. Cécile Hummel zeigt uns die Fische als Ware im Moment des Verkaufs. Ihr geradezu ikonenhaft verklärter Mythos als Herrscher der Meere, pfeilschnell und unverwundbar, hier gebändigt. Wir können die Fische jederzeit berühren, die – lebendig – unberührbar sind. Doch Cécile Hummel interessiert sich nicht für den heroischen Mythos, der sich vor allem über eine männlich determinierte Beziehung des Menschen zum Tier definiert, sondern zeigt die Schwertfische sozusagen als Individuen. Wie könnten wir in freier Wildbahn einen Schwertfisch vom anderen unterscheiden? Hier jedoch, sauber tranchiert, aufgebahrt zum Verkauf, gleicht keiner dem anderen. Die Fische treten aus der anonymen Weite der Weltmeere und aus ihrer scheinbaren Unverwundbarkeit hervor und zeigen sich als einzelne, tote Wesen. Allein schon ihre Färbung ist höchst verschieden.
Kommt die zufällig versammelte Dingwelt der Verkaufsstände hinzu, die mit den Fischen in stumme, seltsam zauberhafte Zwiesprache tritt. Kacheln und Elektrokabel, Leuchtkörper und Werbetafeln, Madonnenbilder und Kunststoffbottiche, Travertin und Marmorplatten, Eisengitter und Waagen. Aus Farben und Materialien, Oberflächen und Lichtwirkungen orchestrieren Dinge und Fische ein atmosphärisches Gewebe zwischen Dauer und Moment: Schon im nächsten Augenblick könnte einer der Fische verkauft und verpackt werden und somit für immer verschwinden. Die Schwertfische sind zugleich aber auch Vanitas-Symbole, Sinnbilder für Vergänglichkeit: Wenig ist verderblicher als Fischfleisch. Und gleichzeitig ist gerade diese Fischart Symbol für Schnelligkeit und Wehrhaftigkeit. Eigenschaften, die überzeitlich und seit jeher dem Menschen sozusagen vorbildhaft sind.
Somit stehen die Schwertfische Cécile Hummels in der Tradition europäischer Stilllebenmalerei, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden, Spanien und Deutschland ihren Anfang nahm. In Betrachtung schimmelnder Zitronen und krabbelnder Insekten in den Bildern dieser Epoche erfasst uns heute noch ein Schauder. Nicht viel anders ergeht es uns, wenn wir den räuberischen Fischen Aug in Aug gegenüberstehen, und seien sie noch so tot. Wir möchten ihnen in freier Wildbahn lieber nicht begegnen.
Es ist die Stunde der Fische, die selbst als tote Wesen nichts von ihrer ikonenhaften Ausstrahlung verlieren. Fischer und Verkäufer können sie fangen, tranchieren und Stück für Stück auf dem Markt verkaufen, aber ihre innere Natur berühren sie nicht.
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